Deutsche Autos hatten einst Weltruhm. Kraftfahrzeuge „made in Germany“ wie Volkswagen oder Mercedes waren bei Käufern rund um den Globus gefragt. Das ist immer noch so, aber wo ein deutscher Name draufsteht, ist oft schon lange keine in Deutschland gefertigte Technik mehr drin. Die Autoproduktion in Deutschland befindet sich einem massiven Schrumpfungsprozeß.
Das hat weniger mit Corona oder dem Teilemangel zu tun, sondern ist Folge von weltweit beispiellos hohen Standortkosten, eines nicht zu lösenden Fachkräfteproblems und einer Industriefeindlichkeit, die sich wie ein roter Faden durch den Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP zieht und von der besonders die Autoindustrie betroffen ist. Deren Produkte bringen zwar höchste Wertschöpfung, aber in der öffentlichen Gunst rangieren sie inzwischen weit hinter dem Fahrrad. Folglich sagt die Industrie leise Servus und verlagert Produktionslinien ins Ausland.
Daß das Problem viel größer als angenommen ist, ist einer aktuellen Auswertung der Deutschen Industriebank (IKB) zu entnehmen. Deren Volkswirte wiesen darauf hin, daß die Pkw-Produktion in Deutschland 2016 noch bei 5,7 Millionen Stück gelegen habe. Im vergangenen Jahr sei sie auf 3,1 Millionen Fahrzeuge gefallen, 2,6 Millionen weniger als noch 2016 und ein Rückgang um fast die Hälfte. Nach Ansicht der IKB-Volkswirte entfällt aber nur etwa eine Million dieses Produktionsrückgangs auf Corona-bedingte Ausfälle.
Probleme werden heruntergespielt
In der öffentlichen Debatte wird das Problem auf Teilemangel und Corona heruntergespielt. So meint der Verband der internationalen Kraftfahrzeughersteller (VDIK), die Kunden wollten mehr Autos kaufen als die Industrie produzieren könne, aber der Halbleitermangel habe die Hersteller mit voller Wucht getroffen. Auch der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) führt die drastischen Einbrüche bei Produktion und Export auf Corona-bedingte Einschränkungen des öffentlichen Lebens, die Schließung von Kfz-Handelsbetrieben und die eingeschränkte Arbeitsfähigkeit von Zulassungsbehörden zurück.
Das eigentliche Problem, nämlich das Herunterfahren der industriellen Erzeugungskapazitäten in Deutschland, wird heruntergespielt oder verschwiegen. Denn die weltweite Produktion von Kraftfahrzeugen ist seit 2016 in viel geringerem Ausmaß als die Produktion in Deutschland gesunken. In Zahlen: 2016 wurden weltweit 72,1 Millionen Fahrzeuge produziert, 2020 (das letzte Jahr, für das vollständige Daten verfügbar sind, ebenfalls schon ein Corona-Jahr) waren es noch 55,8 Millionen. Das ist ein Rückgang um nur etwa ein Viertel und nicht um die Hälfte wie in Deutschland.
Daß die Gewinne der deutschen Hersteller und auch deren Dividenden immer stärker sprudeln, obwohl sie im Inland immer weniger Fahrzeuge produzieren, bedeutet nichts anderes, als daß die Produktion immer stärker ins Ausland verlagert wird. Dies wird auch an der Situation der Zulieferindustrie deutlich. Längst vorbei sind die Zeiten, als in vielen ländlichen Regionen Zulieferer mit Hochdruck die deutschen Autowerke versorgten. Gerade kleinere, nicht international aufgestellte Betriebe, sind nach Beobachtungen der IKB in Schwierigkeiten.
Verlagerung ins Ausland
Die auf Aufkauf von Mittelstandsbetrieben ohne Inhabernachfolge spezialisierte INDUS AG in Bergisch-Gladbach (Nordrhein-Westfalen) reduziert ihr Beteiligungsportfolio im Autosektor. Der deutsche Mittelstand stirbt leise. „Die Industrie hält sich bedeckt. Daher leben wir als Automobilzulieferer derzeit von der Hand im Mund“, klagte Indus-Chef Johannes Schmidt im November vergangenen Jahres.
Die Verlagerung der Produktion ins Ausland wird auch an weiteren Zahlen deutlich. So stellte die IKB fest, daß die Ausrüstungsinvestitionen in der Autoindustrie 2020 gerade noch auf dem Niveau von 2013 gelegen hätten. Daß nichts mehr investiert wird, ist an Opel zu sehen: Der zum französisch-italienischen Konzern Stellantis gehörende Autohersteller ist seit Jahren auf Schrumpfkurs.
Von einer Transformation der Automobilindustrie – wie sie die alte Regierung und die neue Regierung beschworen und beschwören – kann keine Rede sein. Eher hat man es mit einem Abbruch zu tun. Zwar sind inzwischen ein Viertel der in Deutschland hergestellten Modelle elektrifiziert oder Hybridfahrzeuge, aber dies ist kein Ergebnis unternehmerischen Erfolgs, sondern allein Folge der massiven staatlichen Subventionen für die Anschaffung von Elektro- oder Hybrid-Kfz.
Roßtäuscherei
Die zunehmende Verlagerung von Produktionsstätten und Entwicklungseinheiten wird noch weitere nachteilige Folgen für den Standort Deutschland haben. Die Unternehmen verlieren die Verankerung mit ihrer Heimat, und so sind schneller Fusionen mit ausländischen Unternehmen möglich. Frühe Versuche dieser Art wie der Zusammenschluß von Daimler mit dem amerikanischen Hersteller Chrysler waren zwar gescheitert, aber in anderen Industriezweigen funktionieren die Fusionen – zu Lasten Deutschlands.
So ist der Linde-Konzern aus München, einst eine Perle der deutschen Industrie, nach der Fusion mit der US-Firma Praxair mehr oder weniger zu einem amerikanischen Unternehmen geworden. Damit wird der Markt der Industriegase und die für die Zukunft wichtige Wasserstoffforschung und spätere Produktion faktisch von amerikanischen Unternehmen beherrscht. Deutschland spielt auf diesem Markt keine Rolle mehr, in deutschen Linde-Niederlassungen werden zunehmend Arbeiten und Personal reduziert, die Aufgaben werden ins Ausland verlagert.
Da sich mit dem Airbus-Konzern ein weiterer großer Industriekonzern faktisch in ausländischer, nämlich in französischer Hand befindet und an den norddeutschen Standorten des Unternehmens gerade wieder von einem massiven Stellen- und Kapazitätsabbau die Rede ist, finden sich im Deutschen Aktienindex (DAX) gleich zwei Unternehmen, die nicht mehr als deutsch zu bezeichnen sind. So etwas nannte man früher Roßtäuscherei.